Swissrail Industry Association / Thu 28.03.2024

Interview mit Sarah Stark

Aus unserem Netzwerk in Deutschland gewinnen wir in dieser express Ausgabe ein Interview mit Sarah Stark, Hauptgeschäftsführerin des VDB Verband der Bahnindustrie in Deutschland. Sie gibt uns Einblick in ihr erstes Jahr beim VDB und beleuchtet die Bedeutung der Zusammenarbeit, denn "Eisenbahn ist Teamsport" - in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit bedeutet das: "Die Schweiz ist das Labor, in dem Konzepte und Geschäftsmodelle für die Schiene von morgen entstehen. Und Deutschland ist die Lokomotive, die den Fortschritt aufs Gleis und die Innovationen voranbringt."

Liebe Sarah, nun bist du seit gut einem Jahr als Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) im Amt und bereits als starke Stimme der deutschen Bahnindustrie etabliert. Was waren die grössten Herausforderungen und Höhepunkte bisher?

Ich bin mit einem klaren Vorsatz beim VDB angetreten: Klimafreundliche, innovative Mobilität auf der Schiene braucht Rückenwind! Für die Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 und die Erreichung eines Marktanteils von 25 % im Güterverkehr in Deutschland brauchen wir eine höhere Umsetzungsgeschwindigkeit. Ich denke, dazu ist im letzten Jahr sehr viel passiert: Pakete zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung, der Beschluss zur Sanierung der Hochleistungskorridore, die angestossene Vergaberechtsreform und die angekündigten Rekordinvestitionen in die Schiene. 

Jetzt ist nicht alles so gekommen, wie wir das noch vor einigen Monaten erwartet hatten. Die Mittel für die Schiene wachsen dieses Jahr, aber lange nicht so umfangreich wie erhofft. Umso mehr heisst es jetzt: Agilität, Zusammenhalt und Pragmatismus beweisen. Politik, Betreibern und Industrie muss es gemeinsam gelingen den Fokus noch stärker auf Lösungen, statt auf Probleme zu legen. 


Wir hatten die Freude, mit dem VDB den Tag der Schweizer Bahnindustrie in Berlin zu organisieren und die Zusammenarbeit zwischen dem VDB und Swissrail mit einer Absichtserklärung zu vertiefen. Welche Prioritäten sollen wir in diesem Jahr gemeinsam angehen?

Das war ein toller Tag, an den ich und auch viele unserer Unternehmen sehr gern zurückdenken. Ich glaube, unsere beiden Verbände verbindet die Überzeugung, dass wir die Schiene nur gemeinsam in Europa stärken können. Die Schweiz ist das Labor, in dem Konzepte und Geschäftsmodelle für die Schiene von morgen entstehen. Und Deutschland ist die Lokomotive, die den Fortschritt aufs Gleis und die Innovationen voranbringt. 

So eine verbandsübergreifende Kooperation, wie wir sie pflegen, steigert die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie, erhöht ihre Sichtbarkeit und potenziert unser Durchsetzungsvermögen. Unsere gemeinsamen Herausforderungen sind sicherlich die Nachwuchsförderung, das Erschliessen neuer internationaler Märkte sowie die Umsetzung des Einheitlichen Europäischen Eisenbahnraums. 

Im Ausland ist das immer ein starkes Zeichen, wenn wir geschlossen zusammen antreten. Erfolgsgeschichten wie das transatlantische Format „Track is Back“ in den USA stellen unter Beweis, dass man gemeinsam deutlich weiterkommt. 


Eine europäische Herausforderung ist die Harmonisierung des Schienenverkehrs, die Deutschland als Mitglied der EU tatkräftig antreibt. Wie schafft es der VDB und die deutsche Industrie, die Harmonisierung voranzubringen?

 Eisenbahn ist Teamsport. 

Grenzüberschreitender Schienenverkehr, das ist nicht nur eine technologische Meisterleistung, sondern auch eine Übung des politischen Zusammenhalts. Nur wenn Betreiber, Politik und Industrie gemeinsame Weichen stellen, kommt moderne Mobilität europaweit aufs Gleis. Der effizienten Umsetzung darf jetzt nicht eine steigende Überregulierung in die Quere kommen. 

Es braucht einen Bürokratieabbau sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene. Dann braucht es auch klare und stabile Regeln. Unklarheit und „Moving Targets“ in der Regulierung schaffen für die Bahnindustrie grosse Unsicherheit, die eine kosten- und zeitsparende Produktion erschwert. Und es braucht dringend eine Straffung von Genehmigungsverfahren für die Zulassung und Inbetriebnahme, wenn die Verkehrsverlagerung auf eine modernisierte Schiene rechtzeitig gelingen soll. Dabei braucht es den Fokus auf Fahrzeugzulassung einerseits und auf Maschinen und Geräte für den Infrastrukturbau andererseits. Gerade mit Blick auf die grosse Vielzahl an Umrüstungen mit dem European Train Control System (ETCS) und dem neue Funkstandard FRMCS muss eine System- statt Einzelzulassung für digitale Aus- und Umrüstung von Schienenfahrzeugen mit sogenannten On-Bord-Units (OBU) unter Stärkung der Verantwortung von Haltern und Herstellern und administrativer Vereinfachungen erzielt werden. 


Die Mobilitäts- und Bahnindustrien in unseren Ländern wollen auch ihren Beitrag zum Klima und zur Innovationsfähigkeit leisten. Ihr habt im vergangenen Jahr mit McKinsey & Company die Studie «Moderne öffentliche Vergabe (MEAT): Grundstein für die Mobilitätsrevolution auf der Schiene» veröffentlicht und zeigt auf, dass die Vergabe nach klima- und innovationsfreundlichen Kriterien auch wirtschaftliche Vorteile bringen. Nach welchen Prinzipien sollen sich Vergaben in Zukunft richten und wie sorgen wir dafür, dass moderne Vergabeverfahren möglichst schnell umgesetzt werden?

Die Art wie in Europa, aber vor allem in Deutschland beschafft wird muss sich ändern. Mobilitätsangebote sollten stärker an den Bedürfnissen der Fahrgäste ausgerichtet werden. Die Bahnindustrie liefert Innovationen von ansprechendem Innendesign über digitale Informationssysteme bis hin zu klimafreundlichen alternativen Antrieben. Aber ob diese Innovationen in den Betrieb kommen, entscheiden öffentliche Ausschreibungen. Und die belohnen in Deutschland überwiegend den niedrigsten Anschaffungspreis. Das ist weder für das Klima, unsere Kundinnen und Kunden noch für die Fahrgäste gut. 

 «Beschaffung von Schienentechnologie wird künftig viel stärker entlang sozialer und nachhaltiger Kriterien entschieden werden.» 
 
Welche Schienentechnologie beschafft wird, muss künftig viel stärker entlang sozialer und nachhaltiger Kriterien entschieden werden. Und die gibt es im europäischen wie deutschen Vergaberecht mit den „Most Economically Adventageous Tenders“ bereits. Das MEAT-Prinzip bricht den Begriff der Wirtschaftlichkeit auf und ermöglicht es beschaffenden Stellen Kriterien wie das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, niedrige Lebenszykluskosten, modernes Design, hohe Nachhaltigkeit oder Energieeffizienz in der Vergabe stärker zu gewichten. Deutschland muss hin zum besten Angebot. Wer den niedrigsten Anschaffungspreis will, schlägt Innovationen aus. Und – wer billig kauft, kauft meist doppelt. Unsere Studie hat nachgewiesen, dass durch Ausschreibung nach MEAT-Kriterien nicht Innovationen besser zum Zug kommen, sondern auch das Risiko für Budgetüberschreitungen und Nachträge deutlich verringert wird. 

In Ausschreibungen von Bund und Ländern sind MEAT-Kriterien als Zuschlagskriterien stärker einzusetzen und Help-Desks für ihre rechtssichere Anwendung zu schaffen. Denn ausschreibenden Stellen haben nicht immer das notwendige Knowhow oder ausreichend Personalressourcen. Sie müssen bei dieser Transformation des Vergabewesens abgeholt und entsprechend unterstützt werden. 


Der VDB fordert von der deutschen Politik, die dringend notwendigen Investitionen für das deutsche Schienennetz zu tätigen. Wie hat es die deutsche Bahnindustrie trotz den bisher ausbleibenden Investitionen und langfristigen Planungsmöglichkeiten geschafft, sich international als starke und innovative Industrie durchzusetzen?

Die Bahnindustrie braucht klare Zielvorgaben, die mit weitsichtiger Finanzierung hinterlegt sind. Unternehmen müssen ihre Kapazitäten effizient planen und gegebenenfalls notwendiges Gerät und personelle Ressourcen über mehrere Jahre aufstocken. Dafür braucht es aber eine verlässliche Perspektive. Ebenso wichtig wie eine deutliche Dynamisierung der Mittel ist dabei auch die Optimierung der Finanzmechanismen, damit die bestehenden Gelder auch im Markt ankommen. Bisher bleiben Investitionen viel zu oft und deutlich zu lange im Regeldschungel hängen. Es müssen Wege gefunden werden, um die Bundesmittel deutlich schneller zu materialisieren. 

Erfreulicherweise ist die Bahnindustrie ja ein Wachstumsmarkt. Wir verzeichnen seit der globalen Pandemie wieder Rekorde im Umsatz und Auftragseingang. Das Wachstum wird hier aber eben auch stark durch das Auslandsgeschäft getrieben. Rund 40 Prozent unserer Einnahmen generieren wir im Export. Schienentechnologien aus Deutschland sind weltweit gefragt. Jetzt müssen wir die Rahmenbedingungen so umstricken, dass sich diese Dynamik noch stärker auf den Heimatmarkt überträgt. 


In diesem Jahr findet auch die InnoTrans wieder statt – ein Heimspiel für den VDB. Welche Erwartungen und Wünsche hast du, damit wir im Herbst auf eine gelungene Messe zurückblicken können?

Ich wünsche mir, dass wir den Blick fest in die Zukunft richten und gemeinsam über Lösungen sprechen. Wir dürfen ambitionierte Ziele nicht aufgrund aktueller Rahmenbedingungen runterkorrigieren, sondern müssen den Rahmen so anpassen, dass er die Erreichung der Klimaziele über eine starke, moderne Schiene ermöglicht. 

Wie keine andere Messe auf der Welt steht die InnoTrans für diese Mobilität der Zukunft. Eine Mobilität, die begeistert, die verbindet und nachhaltig das Klima schützt. Ich freue mich darauf, auch dieses Jahr wieder die globale Innovationskraft unserer Industrie so gebündelt an einem Ort erleben zu können. Denn auch dafür steht die InnoTrans: Zusammenhalt, internationale Kooperation und starke Innovationspartnerschaften weltweit.


Vielen Dank für das Gespräch!

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