Swissrail Industry Association / Wed 20.12.2023

Interview mit Martin von Känel

In der aktuellen express Ausgabe hatten wir die Freude, ein Interview mit Martin von Känel zu führen, dem ehemaligen Präsidenten von RAILplus und zukünftigen Finanzchef des BAV. Er verrät uns, welche Bedeutung seine bisherigen Erfahrungen in der Industrie und als Betreiber für seine neue Position haben und betont, dass der Dialog zwischen allen Akteuren essenziell für einen erfolgreichen Bahnbetrieb ist.

Die Verstärkung der Zusammenarbeit wird auch das gegenseitige Verständnis zusätzlich fördern.


Wir blicken auf ein erfolgreiches Jahr im öffentlichen Verkehr (öV) zurück – Die Verkehrszahlen für 2023 zeigen eine deutliche Zunahme der Passagierzahlen, insbesondere im Freizeitverkehr nach der Pandemie. Was hat deiner Meinung nach dazu geführt, dass der öV vermehrt bei Freizeitaktivitäten genutzt wird?

Aus meiner Sicht, wie wir es bei TMR beobachten, ist die erfreuliche Zunahme der Fahrgastzahlen auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Erstens hat die einheimische Bevölkerung nach der Corona-Welle die Schönheiten der Regionen in ihrem eigenen Land wiederentdeckt. Zweitens hat der Zustrom ausländischer Touristen schneller zugenommen als ursprünglich erwartet. Ich führe beide Entwicklungen auch auf die derzeitige angespannte Situation in vielen Teilen der Welt zurück, die die Schweiz wieder als zentrale Tourismusdestination mit hohem Erlebniswert in den Fokus rückt. Drittens erleben wir in meiner Region, entgegen den städtischen Ballungsräumen, eine bemerkenswerte Zunahme im Pendlerverkehr. Koordinierte Angebotsverbesserungen auf kantonaler Ebene und eine Optimierung der Transportkette, auch in den Seitentälern, tragen meiner Meinung nach zu dieser erfreulichen Situation bei.


Wir freuen uns, als Industrie einen Beitrag zur Verschiebung des Modal Split und zu einem verstärkten Nutzen des öV zu leisten. Um den öffentlichen Verkehr weiter zu stärken, ist der Dialog und die Zusammenarbeit mit den Betreibern essentiell. Deshalb schätzen wir unsere Zusammenarbeitserklärung mit RAILplus. Was erhoffst du dir von der intensiveren Zusammenarbeit zwischen RAILplus und Swissrail?

Gerade im Bereich der Meterspur ist die Zusammenarbeit aller betroffenen Bahnen mit der Bahnindustrie ein entscheidender Faktor. Im Vergleich zu den interoperablen Bahnen haben wir zusätzlichen Handlungsspielraum, den wir unbedingt nutzen müssen. Das Zusammenführen des vorhandenen Wissens und des über hundertjährigen Erfahrungsschatzes sollte genutzt werden, um innovative und einfache Lösungen voranzutreiben. Wir haben die einzigartige Möglichkeit, in einem definierten Bereich neue Ansätze im Bahnbetrieb zu testen. Wichtig dabei ist, dass wir die Türen für Versuche in einem vertretbaren Rahmen offenhalten und auch einen gemeinsamen, gesicherten Rückzug bewusst akzeptieren.

Die Verstärkung der Zusammenarbeit wird auch das gegenseitige Verständnis fördern. Wir sollten vermehrt auf standardisierbare, modulare Lösungen setzen, um Beschaffung und Instandhaltung in einem produzierbaren und bezahlbaren Rahmen zu halten. Oft höre ich, dass die Anpassung an neue Normen das System verteuert oder Fahrzeugbeschaffungen fast unmöglich macht. Lassen Sie uns diese Themen gemeinsam angehen, um mögliche Kompromisse zu erarbeiten und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.


Welche Massnahmen sind jetzt wichtig, damit wir in Zukunft eine weitere Zunahme vor dem Hintergrund von personeller Knappheit/Fachkräftemangel und begrenzter Kapazität der Infrastruktur bewerkstelligen können?

Eine abschliessende Antwort auf diese sehr aktuelle Frage kann ich leider nicht geben. Das Thema wird die Branche noch einige Zeit beschäftigen. Es geht nicht nur um Fachkräftemangel, sondern um einen generellen Mangel an Arbeitskräften. Folgende Ansätze sind meiner Meinung nach zielführend:

  • Wir müssen das Interesse der Jugend an unserer Tätigkeit wieder wecken: Der öffentliche Verkehr bietet permanent eine unglaubliche Breite und Tiefe für viele Berufsbilder und alle Ausbildungsstufen. Wir müssen die jungen Menschen bereits in der Schule dafür interessieren und sie dort abholen.

  • Mit der laufenden Diskussion um die Erreichung der Klimaziele haben wir im öV die Möglichkeit, eine zusätzliche sinnstiftende Komponente unserer Tätigkeit zu unterstreichen, denn der öV ist Teil der Lösung für die Erreichung der Klimaziele.

  • Wir bauen gezielte Ausbildungen für Eisenbahn-Know-how auf Hochschulniveau auf, um den Ingenieurnachwuchs sicherzustellen. Dabei haben wir bereits erste Resultate erzielt. Besonders erfreulich ist die generationsübergreifende Zusammenarbeit zwischen den Ausbildern aus der Bahnbranche und den im Rahmen der Systemführerschaft Rad-Schiene eingestellten Nachwuchsingenieuren. Die länderübergreifende Zusammenarbeit hilft dabei, das heute noch vorhandene Wissen breiter abzustützen.

  • Neue Arbeitszeitmodelle und regulatorische Anpassungen sind ebenfalls anzugehen. Viele Lokomotivführer gehen zum Beispiel vorzeitig in den Ruhestand, um das Risiko nicht einzugehen, bei der periodischen Kontrolle kurz vor dem Erreichen des Pensionsalters den Arbeitsplatz zu verlieren.


Was sind weitere Herausforderungen, denen die Schweizer Bahn- und Mobilitätsbranche im Jahr 2024 begegnen wird?

Gemeinsam sollten wir prioritär und branchenübergreifend dem Mangel an Arbeitskräften entgegenwirken. Die sehr angespannte Situation in den Nachbarländern wie Deutschland kann sich in den nächsten Jahren auf die Schweiz ausweiten. Weitere Herausforderungen, die wir bei Rail plus für 2024 priorisiert haben, sind die Cybersicherheit gemäss den Anforderungen der AB-EBV, die Weiterführung der Systemführerschaft Rad-Schiene und die Arbeit am Bahnbetrieb der Zukunft im Rahmen des Projekts NextRAILplus. Gerade bei den letzten beiden Elementen sehe ich ein grosses Potenzial, das wir gemeinsam weiterentwickeln können.


Im neuen Jahr wirst du deine neue Position als Finanzchef im BAV antreten – Herzliche Gratulation! Wo wirst du in deiner neuen Funktion die Prioritäten setzen?

Vielen Dank für die guten Wünsche. In erster Linie geht es mir darum, meine Mitarbeiter kennenzulernen und mich mit den Abläufen des BAV und dem gesamten Umfeld vertraut zu machen. Im Vorfeld habe ich bereits einen Einblick in die prioritären Dossiers der Abteilung erhalten. Nun gilt es, das Wissen in diesen Dossiers zu vertiefen. Ein weiteres grosses Thema wird sicherlich die laufende Diskussion um die Finanzen im RPV und in der Bahninfrastruktur sein.


Die Zusammenarbeit zwischen Industrie, Betreibern und Verwaltung bzw. Regulationsstelle (BAV) ist für einen erfolgreichen öV zentral. Wie kann diese Kooperation in Zukunft noch mehr gestärkt werden?

Ich bin euch sehr dankbar für diese Frage, denn sie erlaubt mir, auf beide Sichtweisen vermittelnd einzugehen: Die des BAV gegenüber den Betreibern und die eines öV-Betreibers in Richtung BAV. In meinen Berufsjahren sowohl in der Bahnindustrie als auch bei den Bahnbetreibern habe ich erfahren, dass es sehr schnell gemeinsam getragene Lösungen geben kann, wenn sich im Vorfeld alle Partner über das betroffene Thema vorurteilsfrei und in weiten Teilen ergebnisoffen austauschen können. Die öV-Welt in der Schweiz ist klein, und man kennt sich. Nutzen wir diesen Vorteil, um die Punkte, die uns auf jeder Seite beschäftigen, direkt anzusprechen. Vergessen wir nicht, dass die Kultur des Dialogs, wie wir sie in unserer Branche kennen, nicht überall selbstverständlich ist. Nutzen wir diese Stärke, um das öV-System gemeinsam voranzubringen.


Und als Vorsatz für das neue Jahr: Welche Freizeitaktivität, die wir mit dem öV erreichen, würdest du uns und unseren Mitgliedern im neuen Jahr empfehlen?

Das ist eine nicht einfach zu beantwortende Frage. In den letzten Jahren haben sich im ganzen Land viele neue Möglichkeiten in diesem Bereich eröffnet. Zahlreiche Investitionen haben die Erreichbarkeit der Ausflugsziele mit dem öV sehr attraktiv gemacht. Persönlich kann ich für die anstehende Wintersaison den Verbier- oder Vosalpes Express empfehlen. Diese umsteigefreien Verbindungen aus dem Raum Genf oder Freiburg in die Skiregionen der Westschweiz zu sehr attraktiven Pauschalpreisen sind empfehlenswert. Ein Tagesausflug nach Aosta (Italien) mit der neu aufgebauten Buslinie ab Martigny und natürlich eine Reise mit dem Mont Blanc Express kombiniert mit einem Abstecher zum Stausee von Emosson ist auch nicht ohne. Hier sind spektakuläre Ausblicke in die Bergwelt garantiert! In meiner Heimatregion im Berner Oberland gibt es ebenfalls einige Leckerbissen. Besonders kann ich hier eine Schifffahrt auf dem Brienzersee oder eine Wanderung rund um die komplett neue Bahn zwischen Lauterbrunnen und Mürren empfehlen.


Vielen Dank für das Gespräch.



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