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Interview mit Christa Hostettler

«Echte Innovation ist immer mit Risiken verbunden»

Seit mehr als einem halben Jahr leiten Sie das Bundesamt für Verkehr (BAV). Was hat Sie in Ihrer neuen Rolle an der Schweizer Bahn- und Mobilitätsbranche besonders überrascht, und welche Erkenntnisse haben Sie in dieser Anfangsphase gewonnen?

Unser Mobilitätssystem ist über Jahrzehnte gewachsen und sehr komplex – gerade auch im Bereich der Eisenbahn, den ich aus meiner früheren Tätigkeit noch nicht à fonds kannte. Ein Beispiel: Auf der einen Seite betreiben die Bahnen nach wie vor alte Stellwerke. Auf der anderen Seite führen sie Pilotprojekte durch in Richtung volle Automatisierung. Als Amt verantworten wir Gesetze und Normen und Zulassungen, die beide Welten mit allen Zwischenstufen abbilden müssen. Ähnliche Herausforderungen haben wir in den Plangenehmigungsverfahren oder auch im System des Regionalen Personenverkehrs. Die Komplexität können wir nur langsam reduzieren. Umso wichtiger sind mir möglichst klare Verantwortlichkeiten und einfache Prozesse. Das Ziel ist, dass die in den öV investierten Gelder einen möglichst grossen Nutzen für die Bevölkerung erzielen. 

Christa Hostettler Direktorin BAV BAV

Sie bringen umfassende berufliche Fachkenntnisse, unter anderem als Leiterin Markt und Kunden und Mitglied der Geschäftsleitung bei PostAuto AG oder Generalsekretärin der Konferenz der Direktor:innen des öffentlichen Verkehrs (KöV), mit. Wie fliessen Ihre bisherigen Erfahrungen in Ihre Arbeit im BAV ein?

Ich versuche, die verschiedenen Perspektiven bei der Entscheidfindung einzubringen. Von der KöV habe ich beispielsweise mitgenommen, dass die Politik bei der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs auf allen Staatsebenen gefordert ist und deshalb bei der Ausgestaltung des öV mitbestimmen will.  Von meiner Zeit bei PostAuto weiss ich, wie viele Arbeitsstunden es braucht, eine Offerte für den subventionierten regionalen Personenverkehr zu erarbeiten, und was es bedeutet, wenn das BAV kurzfristig Einsparungen und Effizienzsteigerungen verlangt. Ich bin überzeugt: Das Bewusstsein über unsere jeweiligen Rollen, das Verständnis für die Haltung der anderen Akteure, der «Seitenwechsel» bei der Meinungsfindung, dies sind Schlüsselelemente für gute, zukunftsfähige Entscheidungen. Als Verantwortliche für die Systemführerschaft während der Pandemie bei PostAuto habe ich zudem erfahren, wie stark die Branche agiert, wenn alle auf die bestmögliche Lösung für die Kundinnen und Kunden hinarbeiten. Darauf will ich aufbauen. 

Innovation im Regionalverkehr bietet enormes Potenzial, um den Modalsplit zu steigern und so einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele zu leisten. Gleichzeitig kann die Skalierbarkeit innovativer Lösungen auch ein Motor für den Export und die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Unternehmen sein. Welche Rolle sehen Sie für das BAV bei der Förderung innovativer Ansätze?

Das BAV fördert in verschiedenen Bereichen Forschungsarbeiten. Es ist unser Ziel, die Branche und die Industrie bei der Entwicklung neuer, innovativer Lösungen zu unterstützen. Selbstfahrende Fahrzeuge zum Beispiel haben ein grosses Potenzial für mehr Effizienz und Kundenfreundlichkeit. Echte Innovation ist jedoch immer mit Risiken verbunden. Kleine Entwicklungsschritte sind sicherer, aber weniger spektakulär. Manchmal gehen die Erwartungen weit auseinander. Mein Eindruck ist, dass wir uns über die Ziele besser verständigen und den Umgang mit Risiken expliziter diskutieren müssen. 

Um die Innovationsfähigkeit der Bahn- und Mobilitätsbranche zu stärken, spielt Diversität eine wichtige Rolle. Wir hatten das Vergnügen, Sie als Keynote-Speakerin bei unserem Anlass 'Gemeinsam vorwärts: Nachhaltige Mobilität durch Diversität' im November zu erleben. Dort haben Sie über die Bedeutung von Diversität referiert. Welche Akzente setzen Sie, um Diversität in der Branche weiter voranzutreiben?

Diversität heisst, sich mit Menschen zu umgeben, die anders ticken. Das fordert uns als Individuen und hilft, blinde Flecken zu eliminieren. Mir ist deshalb wichtig, dass unsere Geschäftsleitung aus Führungskräften mit verschiedenen Hintergründen zusammengesetzt ist. Wertvoll sind für mich auch Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern von Transportunternehmen, Politik, Wissenschaft und Industrie. Ich habe bislang an jedem Treffen andere Perspektiven wahrnehmen können und etwas Neues dazugelernt. 

Diversitätsförderung ist auch ein Lösungsansatz für den akuten Fachkräftemangel in unserer Branche. Für uns alle ist es eine zentrale Aufgabe, neue Talente zu gewinnen. Wenn Sie eine Botschaft an junge Frauen oder Studierende in MINT-Fächern richten könnten, die über eine Karriere in der Bahnbranche nachdenken, welche wäre das?

Eine Karriere im öV ist sinnstiftend. Mobilität ist ein alltägliches Bedürfnis von jeder und jedem von uns, und derzeit ist der CO2-Abdruck unseres Mobilitätssystems noch viel zu gross. Gerade für junge Leute kann es interessant sein, von der Konsumentenrolle in die Gestaltungsrolle zu wechseln und etwas zu bewegen. Zudem ist die Arbeit in der Mobilitätsbranche nahe bei den Menschen und sehr vielseitig. 

Zum Abschluss: Haben Sie Wünsche an die Industrie?

Die Weiterentwicklung des Eisenbahnverkehrsleitsystems (ERTMS) mit der zunehmenden Ausrüstung von Bahnstrecken mit Führerstandsignalisierung ist eine Chance, die Bahn zu digitalisieren und effizienter zu machen. Die Industrie kann diese Entwicklung aktiv vorantreiben. Neue Produkte sollen sich am Kundennutzen ausrichten – gleichzeitig ist eine Standardisierung für die Kosteneffizienz unumgänglich. In diesem Spannungsfeld spielt der Wettbewerb. Ich wünsche mir, dass dies Ansporn für die Branche ist, noch bessere, kundenfreundlichere und effizientere Lösungen zu entwickeln.

 

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